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Dienstag, 26. Oktober 2010

Revolution, Roter Terror und die Stasi…

Am Sonntag stand mal wieder ein Museumsbesuch an, und zwar erst Anfang diesen Jahres eröffnete Red Terror Martyr’s Memorial. Es gedenkt der Opfer des sogenannten „Roten Terrors“, als das sozialistische DERG-Regime den Kaiser absetzte und die Macht in Äthiopien ergriff.

Ja, richtig, es ist mal wieder Zeit für einen History-Beitrag... ;)

Heute widmen wir uns einem der dunkelsten Kapitel der Äthiopischen Geschichte. Beginnen wir mit der Ausgangslage:

Anfang der 70er Jahre gerät das Kaiserreich in eine schwere Krise. Kaiser Haile Selassie ist zur Untätigkeit vergreist, die Gesellschaft ist durchzogen von Korruption und Repression. Die Bauern leiden unter hohen Abgaben an die Großgrundbesitzer. Das Bürgertum strebt auf und sieht sich durch den Adel eingeschränkt. Die Dürrekatastrophe 1973 sowie die Ölkrise führen zur Inflation, diese haben Streiks und Demonstrationen zur Folge.

An der Addis Abeba-University (damals Haile-Selassie-University) wächst der Einfluss des sozialistischen Gedankenguts, einerseits bedingt durch Westen und Osten, aber auch durch den Einfluss anderer afrikanischer Staaten, deren politische Entwicklung bereits weiter fortgeschritten ist. Die Studentenbewegungen gelten als Hauptinitiator der Proteste, als im Laufe des Jahres 1974 Teile der Armee sich anschließen, ist das Ende der Monarchie absehbar.

Im Juni 1974 gründet sich der Derg (zu deutsch: Komitee), das „Koordinationskomitee der Streitkräfte, Polizei und Territorialarmee“. Ziel des Derg ist es, die Korruption im Militär und die Unruhen der Soldaten zu unterbinden. Vorsitzender des Derg wurde der Major Mengistu Haile Mariam, dessen Macht in den nächsten Monaten so rapide zunahm, dass er bald nicht nur etliche Minister und Gouverneure inhaftieren konnte, sondern auch einstige, nun unbequeme Weggefährten nicht verschonen musste.

Am 12. September 74 wird Kaiser Haile Selassie in einem blutigen Putsch gestürzt, der Derg übernimm drei Tage später als Provisorischer Militärischer Verwaltungsrat die Kontrolle. Die Protestbewegungen spalten sich, aber die gemäßigten Kräfte unter den Studenten und Militärs können sich nicht durchsetzen. Die Revolution frisst ihre Kinder – Werden zunächst nur Mitglieder der Kaiserfamilie und andere Adelige verfolgt, wird im gleichen Jahr der angesehene General Andom erschossen, mit ihm eine der populärsten Personen des Landes und ein Hoffnungsträger für die Integration des Vielvölkerstaates.

1975 wird die Monarchie offiziell abgeschafft, der Marxismus-Leninismus als Staatsideologie deklariert. Mengistu Haile Mariam propagiert die klassenlose Gesellschaft. Er wird für die Verstaatlichung sämtlicher Industrien und Länder sorgen, lässt Bauern durch eine Landreform umsiedeln und enteignet Unternehmer und Industrielle. Es dauert nicht lange, bis Oppositionelle gleichgeschaltet oder umgebracht werden. Allein bis 1977 lässt der Derg Zehntausende verhaften, foltern oder exekutieren. Die Pressezensur wird strenger, als sie unter Haile Selassie je gewesen ist. Der „Rote Terror“ ist ins Rollen gekommen. Insgesamt, so wird heute geschätzt, werden ca. eine halbe Million Äthiopier dem Faschismus zum Opfer fallen, darunter vor allem Studenten und Jugendliche, aber auch Kinder. Damit sind alleine die politisch Verfolgten gemeint, nicht die Todesopfer, welche die Misswirtschaft der Sozialisten forderte.

Die Eingriffe Mengistus in Landwirtschaft, Handel und Produktion brachten die Wirtschaft Äthiopiens bald zum Erliegen. In den 80er Jahren konnte das Land die Dürreperioden nicht mehr kompensieren, es kam zur großen Hungersnot 1984, für die Regierung eine nicht lösbare Katastrophe, zumal Gelder, auch die Entwicklungshilfen nach dem wellenschlagenden BBC-Report, weiterhin munter in den Ausbau des Militärs flossen.

Um einen kurzen Eindruck zu vermitteln, unter welchen Bedingungen die Äthiopier unter dem Derg lebten, möchte ich ein paar Zitate nennen:

Militärstreifen […] und rekrutierte Hilfswillige trieben jugendliche „Staatfeinde“ mit MG-Garben durch die Straßen. Sie konzentrierten die Treibjagd auf die 12- bis 25jährigen, denn den stärksten Rückhalt hat die EPRP bei Schülern und Studenten.

Die zerschossenen Leichen wurden von dem Kommandos zur Abschreckung oft stundenlang liegen gelassen. Hinter der deutschen Schule schmorten einen ganzen Tag lang 16 tote Schulkinder in der Sonne. An der Ambo Road, 20 km westlich von Addis, warfen Kebele-Killer 18 ermordete Schüler in die Abfallgrube einer Fleischfabrik. Eltern, die tags darauf in Tierskeletten und verwesenden Innereien nach Leichen stocherten, wurden mit vorgehaltener Waffe verscheucht. Dörfler mußten zusehen, wie ihre Kinder von streunenden Hunden und Hyänen zerfressen wurden.

[…]

Die meisten Toten gibt es stets am Wochenende, wenn in den Kebele der Kodikalla fließt, hochprozentiger Maisschnaps. aus dem gefährliche Fuselöle nur unzulänglich herausdestilliert sind. Oft reicht ein anonymer Tip an den Kebele-Vorsitzenden, um einen ungeliebten Nachbarn verschwinden zu lassen.

SPIEGEL, 24/1978

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40887619.html

Längst ist Äthiopien ein Überwachungsstaat der übelsten Sorte geworden. Unter Mithilfe der Sowjetunion, Kubas und der DDR werden Folter- und Überwachungsmethoden ausgefeilt. Die DDR hat mehrere hundert Experten im Land, Honecker und Mengistu schließen eine Reihe von Kooperationsverträgen ab, Stasi-Mitarbeiter unterrichten die äthiopische Miliz innerhalb einer sogenannten Spezialuntersuchungsabteilung. Lieferungen von „Material für Sonderaufgaben“ (Schlagstöcke, Handschellen etc.) werden aus Ostberlin nach Addis Abeba geliefert.

Die Führer im oben genannten Museum sind übrigens meistens Opfer des Terrors gewesen, haben viele der Foltermethoden am eigenen Leib erlebt. Ich möchte nicht schreiben, was sie erzählt haben, aber vielleicht so viel dazu anmerken, dass es dabei kein Tabus gegeben hat.

Ein weiteres Zitat stammt von dem polnischen Journalisten Ryszard Kapuscinski:

Um die Situation in den Griff zu bekommen und die Opposition zu entwaffnen, ordneten die Behörden eine allgemeine Fetascha an. Wir werden pausenlos durchsucht. An der Straße, im Auto, vor dem Haus, vor dem Geschäft, vor dem Postamt, vor der Eingang zum Büro, zur Redaktion, zur Kirche, zum Kino. Vor der Bank, vor dem Restaurant, am Marktplatz, im Park. Jeder kann uns durchsuchen, denn niemand weiß, wer dazu das Recht hat und wer nicht; es ist besser, man stellt keine Fragen, das würde alles nur schlimmer machen, am besten, man gibt nach. Ständig durchsucht uns jemand: Irgendwelche zerlumpte Kerle, Stöcke in Händen, stellen sich uns wortlos in den Weg und breiten die Arme aus, das bedeutet, dass auch wir die Arme ausbreiten sollen - und uns zur Durchsuchung bereitmachen; nun holen sie alles aus unseren Aktenmappen und Taschen, inspizieren es, runzeln die Stirn, wackeln mit dem Kopf, beraten sich untereinander, dann tasten sie über unseren Rücke, den Bauch, die Beine, die Schuhe, und dann? Dann ist nichts - wir dürfen weitergehen, bis zum nächsten Ausbreiten der Arme, zur nächsten Fetascha. Nur, dass die nächste vielleicht schon ein paar Schritte weiter ist, und dann fängt alles wieder von vorne an. [...] Wir müssen uns jedes Mal von neuem, alle paar Meter, alle paar Minuten, wieder und wieder entlasten, rechtfertigen, Absolution erhalten. [...] Aber am häufigsten sind die Amateurfetaschas, an die man sich bald gewöhnt. Viele machen auf eigene Faust eine Fetascha, einsame Fetaschisten, außerhalb des Plans der organisierten Fetascha. Wir gehen die Straße entlang, und plötzlich hält uns ein Unbekannter auf und breitet die Arme aus. [...]
(König der Könige)

1987 beendete Mengistu Haile Mariam die Herrschaft des Derg offiziell, eine neue Verfassung eingeführt. Das Land wurde zur Volksrepublik mit einem Einparteiensystem unter der Herrschaft der Arbeiterpartei Äthiopiens. Bei den Wahlen wurde Mengistu, mittlerweile vom Volk als „Schlächter von Addis“ bezeichnet, mit 85 % zum Präsidenten gewählt.

Im Laufe der Jahre hatten sich allerdings starke Widerstände gegen den Derg organisiert, etwa die sezessionistische Volksbefreiungsfront von Tigray (einer Provinz im Norden) unter der Führung des heutigen Premiers Zenawi, die Eritreische Volksbefreiungsfront, aber auch innere linke, monarchistische oder demokratische Gruppierungen.

Nachdem die Koalition der Rebellengruppen bis 1990 große Teile des Landes unter ihre Gewalt gebracht hatte, gab Mengistu bekannt, das Land offener zu gestalten. Die Rebellen zeigten sich jedoch unbeeindruckt und führten den Kampf weiter fort. 1991 marschierten sie auf Addis Abeba und beendeten Mengistus Regierung. Der Diktator konnte nach Simbabwe fliehen, wo ihm Robert Mugabe bis heute Asyl gewährt. Die äthiopische Regierung verlangt seit Jahren vergeblich nach dem in seiner Heimat zum Tode verurteilten Mengistu, der bis heute Michael Gorbatschow für den Niedergang des sozialistischen Äthiopiens verantwortlich macht – mit dem Zusammenbruch der UdSSR blieb die benötigte Unterstützung aus. Besondere Bewunderung erfahren dafür zwei andere Menschenfreunde.

SPIEGEL (1995): Welche Staatsmänner schätzten Sie am meisten?

Mengistu: Kim Il Sung und Castro. Nordkorea ist ein wunderbares Land, und Kim war ganz anders, als ihr Westler ihn euch vorgestellt habt: Er war geistreich, rauchte, trank, erzählte Witze. Er hat mir ein Elektrizitätswerk und Werften geschenkt und für die Entsendung seiner Militärberater nichts verlangt.

Den Roten Terror verteidigte Mengistu gegenüber „The Star“ (Südafrika, 1999) so:

"We had to organise people into urban defence units and rural defence committees and peasants' associations to defend the country,"

"The so-called genocide was this war in defence of the revolution".


Liebe Grüße,

Armin

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